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Frage:
Was ist Radioaktivität?
Kurzantwort
Radioaktivität ist die Eigenschaft bestimmter Atomkerne wie beispielsweise die des Elements Radium, ohne äussere Beeinflussung Strahlung auszusenden (Frage 104).
Die - natürliche - Radioaktivität des Urans wurde 1896 von Henri Becquerel in Paris entdeckt. Inzwischen können wir radioaktive Atome in vielfältiger Form auch gezielt künstlich herstellen. Summarisch werden Substanzen, die radioaktive Atome enthalten, ebenfalls als radioaktiv bezeichnet.
Illustration
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Radioaktiver Atomkern (zusammengesetzt aus Protonen und Neutronen) mit verschiedenen Strahlenarten, die je nach Zerfallsart einzeln oder kombiniert auftreten können
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Erklärung
Radioaktivität im physikalischen Sinne bezeichnet die Eigenschaft von Atomkernen, sich spontan in Kerne eines anderen Elementes umzuwandeln und dabei eine Teilchen- oder Wellenstrahlung, die Kernstrahlung, auszusenden. Atomkerne, die diese Eigenschaft besitzen, nennt man Radionuklide. Dieser physikalische Vorgang der Kernumwandlung wird üblicher, aber unzutreffender Weise "Zerfall" genannt, im Englischen "decay". Erst bei der Kernspaltung, wie sie in Kernreaktoren abläuft, spricht man zu Recht von "Kernzerfall".
Im heutigen Sprachgebrauch versteht man unter Radioaktivität dagegen meistens einen Stoff oder eine Substanz, die Radionuklide enthält, und spricht in diesem Zusammenhang je nach der Menge von einer "starken" oder "schwachen" Aktivität. Nach Tschernobyl beispielsweise waren die Milch und der Salat "schwach radioaktiv".
Die von radioaktiven Kernen ausgesandte Strahlung ist ein Energieträger. Diese Energie kann, wenn sie wieder in Materie absorbiert wird, Strukturänderungen bewirken. In lebendem Gewebe bedeutet das meist Zellschäden, die negative Auswirkungen auf den Gesamtorganismus haben können. Damit stellt der Umgang mit Radioaktivität ein potentielles Gesundheitsrisiko für den Menschen dar und erfordert spezifische Schutzmaßnahmen.
Charakteristische Eigenschaften von Radionukliden
Die Umwandlung des einzelnen radioaktiven Atomkerns erfolgt spontan zu einem nicht vorhersehbaren Zeitpunkt. Für eine grosse Anzahl von Atomkernen des gleichen Radionuklids, beispielsweise Cäsium-137 (physikalische Schreibweise 137Cs) gibt es jedoch eine genau festliegende und bestimmbare Zeit, nach der jeweils die Hälfte aller Atomkerne die Umwandlung vollzogen hat. Diese für das Radionuklid charakteristische Zeit nennt man die Halbwertzeit (HWZ), bei 137Cs 30,0 Jahre.
Welches Radionuklid man vor sich hat, erkennt man aus Art und Energie der bei der Kernumwandlung ausgesandten Kernstrahlung, die für das jeweilige Radionuklid ebenfalls charakteristisch ist. Die Strahlung kann auftreten als Alpha-(α)-Teilchen, als Beta-(β)-Teilchen und/oder als Gamma-(γ)-Foton, also elektromagnetische Wellenstrahlung. Das in der Nuklearmedizin häufig benutzte Radionuklid Jod-131 (131I) emitiert sowohl β-Teilchen wie auch mehrere γ-Fotonen von 280 und 360 Kiloelektronenvolt (keV). Zum Vergleich: Die in der Radiologie gebräuchliche Röntgenstrahlung, ebenfalls eine elektromagnetische Strahlung, hat eine Energie von 20 bis zu einigen 100 keV.
Welche Arten von Radionukliden gibt es?
Radionuklide entstanden bereits beim "Urknall", der Entstehung des Universums. Die langlebigen von ihnen mit einigen Milliarden Jahren Halbwertzeit sind noch heute als natürliche "primordiale" Radioaktivität bei uns vorhanden. Im Wesentlichen sind dies das Uran-235 (235U) und -238 (238U) sowie das Thorium-232 (232Th)mit ihren ebenfalls radioaktiven "Nachkommen" oder Tochterprodukten in der zugehörigen Umwandlungskette, wie etwa das Radium-226 (226Ra) oder das radioaktive Edelgas Radon-222 (222Rn), sowie das auch in unserem Körper immer vorhandene Kalium-40 (40K). Ausser diesen primordialen Radionukliden gibt es noch andere, weit kurzlebigere Radionuklide wie Tritium (3H) oder Kohlenstoff-14 (14C), die durch Umwandlungen an sich stabiler Atomkerne infolge der kosmischen Strahlung in unserer Atmosphäre ständig neu gebildet werden.
Seit der Entdeckung der Kernspaltung 1938 durch Hahn und Straßmann in Berlin und der Entwicklung von Teilchenbeschleunigern hat der Mensch gelernt, aus stabilen Atomkernen gezielt und in grossen Mengen etwa 400 verschiedene "künstliche" Radionuklide mit Halbwertzeiten von Sekunden bis Jahren herzustellen. Sie werden heute einerseits in Medizin und Forschung als Markierungsquellen ("Tracer") für bestimmte Molekülstrukturen vielfältig eingesetzt. Andererseits benutzt man sie als Strahlenquellen in der Medizin zur Krebstherapie, in der Technik zur Materialprüfung sowie zur Sterilisation, zur Trinkwasserentkeimung, zur Lebensmittelbestrahlung und zur Werkstoffveredelung, und in der produktionstechnischen Prozesskontrolle zur berührungsfreien Kontrolle und Regelung von Dicke, Dichte Feuchte und Füllstand.
Was ist das Maß für die Radioaktivität?
Die physikalische Messgrösse für die Radioaktivität ist die Anzahl der Kernumwandlungen pro Sekunde. Die Einheit dieser Messgrösse, also eine Umwandlung pro Sekunde (s-1), heisst 1 Becquerel (Bq), benannt nach Henri Becquerel (1852-1908), der im Jahre 1896 im Alter von 44 Jahren in Paris erstmals die Radioaktivität des Elements Uran entdeckte. 1 Bq ist eine sehr geringe Aktivität, deshalb wird die Radioaktivität meist in Kilobecquerel (kBq) angegeben. Zum Vergleich: Der menschliche Körper enthält etwa 4,5 kBq des natürlichen Radionuklids Kalium-40 (40K) mit einer HWZ von 1,28 x 109 Jahren. Beim Umgang mit beispielsweise 137Cs benötigt man ab einer Radioaktivität von 10 kBq eine Umgangsgenehmigung. Eine medizinische Therapiequelle enthält 1012 - 1013 Bq, und nach Tschernobyl wurden etwa 1018 Bq freigesetzt.
Nachgewiesen werden können Radionuklide nur dadurch, dass man die von ihnen ausgehende Strahlung messtechnisch erfasst (=> Messung der Radioaktivität). Die exakte Bestimmung etwa des spezifischen Aktivitätsgehalts in Milch oder Pilzen erfordert spezielle Messgeräte, die nichts mehr mit dem landläufigen "Geigerzähler" zu tun haben.
Physik der Radioaktivität
Im Atomkern eines bestimmten Elementes kann neben der Anzahl der Protonen, die das Element und die Kernladungs- bzw. Ordnungszahl Z bestimmen, eine unterschiedliche Anzahl von Neutronen vorhanden sein. Man bezeichnet die Kerne dann als Isotope des betreffenden Elementes. Zur Kennzeichnung wird die Summe der Anzahl von Protonen und Neutronen im Atomkern zum Symbol des chemischen Elementes geschrieben, also z.B. 137Cs (Cäsium-Atomkern enthält stets 55 Protonen und in diesem Fall noch 82 Neutronen). Isotope eines Elementes verhalten sich chemisch gleich.
Den Atomkern eines Isotops nennt man auch Nuklid. Ein radioaktiver Kern heisst Radionuklid. Bei den heute bekannten etwa 110 verschiedenen Elementen wurden etwa 2'000 Nuklide gefunden. Davon sind etwa 250 stabil. Die meisten Isotope haben also die Eigenschaft, dass sie instabil sind und sich unter Aussendung von Strahlung umwandeln, also radioaktiv sind. Die Neutronen sind für die Stabilität eines Atomkerns zuständig. Je höher die Kernladungszahl ist, desto grösser ist das Verhältnis der Anzahl Neutronen zu der Anzahl Protonen. Sind zu viele oder zu wenig Neutronen vorhanden, so ist das Nuklid instabil. Die Energie ist dann nicht im Gleichgewicht. Den Umwandlungsprozess eines Radionuklids kann man nicht beeinflussen, ausser es gelangen zusätzliche Neutronen, Protonen usw. in das Nuklid (z.B. Vorgang in den Brennstäben eines Kernkraftwerkes). Dabei entsteht ein neues Nuklid.
Bis zur Ordnungszahl Z = 83 (Bi = Wismut) haben alle Elemente mindestens ein stabiles Isotop (stabile Wasserstoff-Isotope: H-1, H-2; stabile Kohlenstoff-Isotope: C-12, C-13), mit Ausnahme von Technetium (Z = 43) und Promethium (Z = 61), von denen es keine stabilen Nuklide gibt. Oberhalb der Ordungszahl Z = 83 sind nur radioaktive Isotope bekannt.
Ein Radionuklid befindet sich in einem energetisch ungünstigen oder angeregten Zustand und ist bestrebt, in einen stabileren Zustand überzugehen. Dies wird erreicht durch Aussendung von Teilchen (Masse, z.B. α- oder β-Strahlen) und überschüssiger Energie in Form von γ-Strahlen (Photon, elektromagnetische Strahlung). Bei einem radioaktiven "Zerfall" ändert sich immer die Anzahl der Protonen im Atomkern. Es entsteht also ein anderes Element. Aus dem Mutternuklid wird ein Tochternuklid. Dieser Vorgang kann durch den Nachweis der dabei ausgesandten Strahlung festgestellt werden.
Rupprecht Maushart, Jakob Roth Juli 04
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