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Frage:
Wie begrenzt man die Nebenwirkungen von Dosen bis zu 100 Gy in der Radio-Onkologie ?
Kurzantwort
Es sind hauptsächlich zwei Gründe, dass bei einer Strahlentherapie (Radio-Onkologie) sehr hohe Dosen angewendet werden können. Einmal ist es die optimale Eingrenzung der Bestrahlung auf das sogenannte Zielvolumen, welches den diagnostizierten Tumor umgrenzt. Mit Hilfe der Bestrahlungsplanung wird eine Bestrahlungstechnik gesucht, welche das umliegende gesunde Gewebe möglichst schont. Zudem wird die Dosis in sogenannte Fraktionen aufgeteilt. Zwischen den meist täglichen Bestrahlungen mit Dosen von etwa 2 Gy kann sich das vor allem das gesunde Gewebe teilweise wieder erholen.
Illustration

Physikalischer Bestrahlungsplan als Vorbereitung für eine Strahlentherapie der Prostata (Einstrahlung von allen vier Seiten). Die Linien stellen Isodosen dar, also Linien mit gleichen Dosen. Sie werden in Prozenten vom Maximum angegeben (100 % liegen hier etwa im Zentrum).
Erklärung
Um die Zellen eines Tumors mit ionisierenden Strahlen zu vernichten, braucht es je nach Strahlenempfindlichkeit des Tumors Dosen zwischen 20 bis über 75 Gy. Viele Faktoren können die erforderliche Dosis beeinflussen. So sind Zellen, die gut mit Sauerstoff versorgt werden, wesentlich strahlensensibler als sogenannte anoxische Zellen, die nicht mit Sauerstoff gesättigt sind. Dies gilt jedoch nur für locker ionisierende Strahlung (wie Photonen- oder Elektronenstrahlen). In Anwesenheit von Sauerstoff ist das Gewebe um einen Faktor 2 bis 3 mal strahlenempfindlicher als ohne Sauerstoff. Deshalb sind Tumoren mit schlechter Sauerstoff-Versorgung nicht geeignet für die konventionelle Radio-Onkologie.
Es ist das Ziel der Radio-Onkologie, eine Bestrahlungstechnik auszuwählen, die eine möglichst grosse Strahlenenergie im Zielvolumen deponiert und gleichzeitig das umgebende gesunde Gewebe möglichst schont. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Zielvolumen meistens eine irreguläre Form aufweist. Deshalb wird der Tumor in einer bestimmten Körpertiefe selten nur von einer Richtung bestrahlt. Verschiedene Parameter sind zu berücksichtigen, und es stehen unterschiedliche Hilfsmittel zur Verfügung: Feldgrösse, Feldform, Abstand von der Strahlenquelle, Strahlenart, Strahlenenergie, Einstrahlrichtung, kontrollierte Veränderung des homogenen Strahlenfeldes z.B. mit Keilfilter, Moulagen (um fehlendes Gewebe zu ersetzen), Überlagerungen von verschieden grossen Feldern evtl. mit verschiedenen Energien.
Bei der Dosisfraktionierung kann das gesunde Gewebe subletale Strahlenschäden in den Pausen zwischen den Bestrahlungssitzungen fast vollständig reparieren, das Tumorgewebe mit den höheren Dosen aber nicht bzw. viel weniger gut. Auf Grund von Erfahrungen betragen die Einzeldosen etwa 1.8 bis 2.0 Gy bei fünf Bestrahlungen pro Woche.
Die Gesamtbehandlungszeit sollte möglichst kurz sein. Andererseits benötigt das gesunde Gewebe genügend lange Reaktionszeiten, um sich von den Strahlenwirkungen zu erholen (Reparaturvermögen). Eine kurzfristige und konzentriert erfolgte Bestrahlung ist biologisch wirksamer als eine zeitlich verdünnte Bestrahlung mit gleicher Dosis (Schwarzschild-Effekt). Teilweise werden aber auch akzelerierte oder hyperfraktionierte Bestrahlungen durchgeführt. Dabei erfolgen die Bestrahlungen mehrmals täglich mit kleinen Dosen von 1.0 bis 1.2 Gy; die Gesamtbehandlungszeit wird aber nicht verändert. Dadurch werden die Reparaturmechanismen des gesunden Gewebes ausgenutzt, um die Gesamtdosis im Zielvolumen zu erhöhen. Die Pausen zwischen zwei Bestrahlungen müssen jedoch mindestens 6 bis 8 Stunden betragen, damit das Normalgewebe sich auch durch die langsamen Repairkomponenten erholen kann.
Jakob Roth, Basel, Oktober 2005
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